Ich hab ein Problem mit dem Slam
Ich hab ein Problem mit dem Slam - Hilferuf eines Senioren
Poetry Slam - ein Veranstaltungsformat, bei dem mit selbst verfassten Texten
um das Gehör und die Gunst des Publikums geworben wird.
Hören wir genau hin: auf der einen Seite „selbst verfasst“ und auf der anderen
Seite das „Publikum“ - es existieren also zwei Seiten.
Die eine Seite: der Text – Verfasser.
Ein Text – Verfasser für den Poetry – Slam durchlebt drei Stufen:
# Ein persönliches Erlebnis, eine problematisch erlebte Situation oder einfach
eine Begebenheit löst im Poeten eine emotionelle Reaktion aus.
# Er will diese Gemütsbewegung nicht nur in seinem Kopf behalten, sondern auch niederschreiben.
# Und: Er will diese seine niedergeschriebenen Gedanken nicht für sich behalten, sondern
einem Publikum präsentieren.
Für die Formulierung des Erlebnisses, der Gedanken sind alle Textformen
erlaubt: von einfachen Prosa - Erzählungen über rhythmisch verfasste Prosa
und gereimte Texte bis zu Gedichten und langen Balladen. Dabei wird Dialekt,
Hochsprache, Mundart, sogar Fremdsprache (wie ich zu meiner Verwunderung
feststellen musste) verwendet; auch Wortspielereien werden verwendet bis
hin zu Wort - Vergewaltigungen, die dann außerhalb des gängigen Wortschatzes liegen.
So, bis hierher haben wir den Wunsch eines jeden Poeten, sein Werk, seine
Gedanken einem Publikum vorstellen zu können.
Und damit kommen wir zur anderen Seite der Medaille:
Sie, das Publikum.
Und da tut sich eine Kluft auf. Zwischen mir und Ihnen ist eine Kluft – eine Kluft,
die ich nur mit Schallwellen und optischen Informationen überbrücken kann.
Diese Informationen treffen auf Sie als Publikum und sollen bei Ihnen eine
Reaktion auslösen.
Sie haben für die Aufnahme der Texte nur zwei Eingänge – Ohren und Augen.
Der Weg aber von diesen beiden Eingängen bis in ihr Inneres, in ihr Herz, in
ihren Geist bis hin zur Akzeptanz des Textes ist ein weiterer
als man denkt und hat einige Hürden aufzuweisen.
Rein biologisch bedingte Hindernisse tun sich schon am Beginn auf:
Bei leise gesprochenen Worten kann ein etwas verminderter Gehörsinn einige
Inhalte des Gesagten schon mal verloren gehen lassen.
Worte, die undeutlich gesprochen wurden, versteht man ganz einfach nicht
und gehen verloren.
Dann: unterbrochene Aufmerksamkeit, ausgelöst durch Ablenkungen: Handy –
Botschaften, ein Gruß, ein Blick dahin und dorthin, ein Wink nach einem
Getränk – und schon ist wieder ein Teil dessen, was ich Ihnen sagen wollte,
hier im Lokal verraucht.
Es geht weiter: Wenn der Text schwer verdaulich ist und sie eine Passage nicht
sofort völlig aufnehmen konnten und - wenn auch nur kurz - darüber
nachdenken müssen, geht mit Sicherheit ein nachfolgender Teil des Textes
verloren.
Nur wenn es also bis hierher gelungen ist, keine Hürden aufzubauen, werden
die Türen des Zuhörers für die Aufnahme des Textes offen sein und auch
während der Übermittlung offenbleiben. Macht man Fehler, ist man schlampig,
wird diese Tür zumindest zeitweise zugeknallt, im ungünstigsten Fall ganz
geschlossen und der Text verpufft.
Wie auch immer: Der Poet muss sich im Klaren sein, dass nur ein Teil seiner
Information auch die Zuhörer erreicht und von ihnen aufgenommen wird.
Es gibt noch eine letzte, große Schwelle: die Akzeptanz für den Text. Wenn
dem Publikum das Gesagte nicht passt, helfen alle Dicht- und Sprachkünste
nichts. Gerade dieser Punkt darf aber dem Poeten kein Kopfzerbrechen
machen: Inhaltlich kann man es nicht allen recht machen.
Poetinnen und Poeten, wenn ich mich in die Rolle des Publikums versetze, habe
ich einige Gedanken für euch:
Bitte kein Quotendenken als Motivation für den Text. Nur ein Text, der aus
dem Herzen erwächst, kann auch die Herzen erreichen.
Worte, die wie ein Maschinengewehr in die Zuhörer abgefeuert werden und
der Slammer dann hofft, dass wenigsten das eine oder andere Wort trifft – das
ist vergebene Mühe mit einem äußerst schlechten Wirkungsgrad.
Ein vielleicht altmodischer Begriff: wohlgesetzte Worte. Ein logischer, einfacher
Satzaufbau wird bei einer mündlichen Präsentation leichter angenommen.
Nicht zuletzt ganz wichtig: eine klare und deutliche Sprache - eigentlich
selbstverständlich - aber manchmal doch nicht.
Denkt daran, dass der Zuhörer die Worte und ihren Inhalt aufnehmen und
genießen sollen und vermeidet bitte all diese Hindernisse, die den Weg vom
Herzen des Poeten zum Herzen des Zuhörers blockieren könnten.
Dies ist also der Hilferuf eines Senioren, der all diese Hindernisse in viel
größerem Ausmaß verspürt als es Jugend denken kann, an die Poeten und Poetinnen:
Schreibt und bringt kein Fast Food – bringt Gourmet – Menus!
INFOBOX zum Text:
Slam bedeutet wörtlich übersetzt „zuschlagen“, „zuknallen“, „jemanden ins Gesicht schlagen“,
ist im Sport ein Volltreffer,
ein wichtiges Turnier,
ist alltagssprachlich eine scharfe Kritik,
bedeutet im Slang sogar „jemanden heruntermachen“.
1994 tauchte erstmals die Bedeutung „competitive performance“, also allgemein „eine Präsentation,
verbunden mit einem Wettbewerb“.
Wie entstand überhaupt der Name: Marc Kelly Smith erfand dieses Veranstaltungsformat.
Er wurde von einem Radiosender angerufen und sollte einen Namen nennen. Da er sich gerade
ein Baseball - Spiel ansah, gab er an die Medien den Begriff SLAM weiter – also ein eher
zufälliger Name für dieses Format.
Poetry Slam ist also keine Aufforderung mit Worten das Publikum zuzu"slammen", nein:
Poetry Slam ist ein Veranstaltungsformat, bei dem mit selbst verfassten Texten um das Gehör
und die Gunst des Publikums geworben wird.
Der Text wurde am 13.01.2016 beim 82. Poetry Slam Leoben vorgestellt.